THEOLOGISCHE MEDITATION ZUM LEITVERS KOL. 3,14 DES KIRCHBAUS IN GROßRÖHRSDORF

von Pfarrer Dr. Benjamin Stahl im April 2025

Vor allem aber bekleidet euch mit der Liebe. Sie ist das Band, das euch zu vollkommener Einheit zusammenschließt.Kolosser 3,14 (BasisBibel)

Einleitung

Das Perspektivteam hat als Leitvers für den Kirchenbau in Großröhrsdorf eine
Aufforderung - oder besser gesagt - eine Ermunterung gesetzt, die der Innengestaltung
eine geistliche Richtung gibt.

Zum Hintergrund wurde geäußert: Zum einen sei Großröhrsdorf, wie das antike
Kolossä, von der (Band-)Weberei geprägt gewesen. Zum anderen überlebte gerade ein
Stück Stoff den Brand, wo Metall schmolz! Auf einem der drei Altarparamente wurde
die Botschaft verkündet: „Gott ist Liebe!“ (1 Joh 4,16). Hinzu kommt, dass die
Gemeinde in Großröhrsdorf gerade erlebt, wie sie „verbunden“ wird und wie ein
Aufbruch zu neuer „Verbundenheit“ nötig ist. Davon soll der Kirchbau erzählen.

Dieser Beitrag nimmt die genannten Anliegen auf und meditiert den Leitvers für den
Innenraum vor dem Hintergrund lutherischer Theologie. Der Fokus liegt auf dem
Bedeutungsgehalt der sprachlichen Metaphorik, die im besten Falle Gestaltungsideen
anregt.

Wie zieht man Liebe an?

Die zentrale Ermunterung ist: „Bekleidet euch mit Liebe“. Super! Aber aus welchem
Stoff ist die Liebe gemacht und wie kommt sie an den Körper? Man muss einmal kurz
innehalten, um zu realisieren: Die Metapher ist ein bisschen strange!

Zuerst muss klar werden, welche Art von Körper der Autor des Kolosserbriefes vor
Augen hat: Es geht um eine „Gemeinschaft“ - also einen „Gemeinschaftskörper“. Das
besondere dieser Gemeinschaft ist, dass sie bekannte Verhältnisse auf den Kopf stellt.
Mitten in der staatlichen Ordnungsgesellschaft des römischen Reiches entsteht eine
„Liebesgemeinschaft“ der gegenseitigen Unterordnung. In ihr ordnet man sich
einander unter und folgt damit dem HERRN, der der Diener aller geworden ist. So
entsteht eine Gemeinschaft der Gleichen im Gegenüber zur Gesellschaft der Noblen,
der römischen Bürger, der Freien und der Sklaven!

Das Bild des „Gemeinschaftskörpers“ hat drei Ebenen:

  1. Christus ist das Haupt (Kol 1,18)
  2. Die Gelenkstellen oder Verbindungsstellen sind die Liebe. (Kol 3,14)
  3. Die Glieder sind die einzelnen Christinnen und Christen. (Kol 1,24)
Ebene 1: Das Haupt

Christus, der Friedensstifter und Versöhner (Kol 1,20) ist das Haupt. Im
Anforderungsprofil entspricht das dem Wunsch der Gemeinde, dass ein Kreuz als
„Blickfang“ bzw. „zentrales Element“ über allem ist oder „schwebt“. Die Frage, wie
Herrschaft und Unterordnung, für die Christus steht (Mt 23,11) und wie es auch den
Kolosserbrief durchzieht, dargestellt werden können, muss gestalterisch bearbeitet
werden. Es geht schlicht und einfach um den von den Toten auferweckten Herrn der
Welt, der die Menschen richtend freispricht und neue, versöhnte Gemeinschaft
hervorbringt (Kol 2,12-15). Wie bekommen wir den Diener-Herrscher und sein Kreuz
mit dieser Welt in den Blick, so dass wir seine Zuwendung, seine Liebe zu uns für
richtig gut und als das Wichtigste dieser Welt erkennen und empfinden?

Ebene 2: Die Verbindung

Das „Band“ aus Kol 3,14 ist eine weitere interessante Metapher. Das griechische Wort
„syndesmos“ führt uns in die Bildwelt der „Gelenkverbindung“, des „Bandes“ und der
„Fessel“. Der „Syndesmotes“ ist der Mitgefangene, „Syndesis“ die Verbindung und das
Verb „syndeo“ meint: zusammenbinden, fesseln, verbinden.

Spielt man mit diesem Bild, könnte man sagen: „Fesselt euch an die Liebe und ihr
werdet eins sein.“ Fesseln ist dann kein freiheitsraubender Begriff, sondern eher im
Sinne einer Lifeline zu verstehen -- eher so, wie sich Bergsteiger oder Astronauten an
dem festbinden, was sie hält und vor Gefahr bewahrt. Genauer müsste man noch
sagen: Die Liebe ist die Fessel -- nach Aussage der Bibel eine sehr starke (Hld 8,6:
„Liebe ist stark wie der Tod“) oder noch präziser: Gott selbst (1 Joh 4,16: „Gott ist
Liebe“)!

Das, was die Gemeinschaft zusammenhält, ist damit Gott selbst.

Das geschieht zum einen dadurch, dass sich jeder einzelne an Gott orientiert -- sich
ausrichtet an dem, was droben ist, nämlich an Christus, dem Haupt. Der Herrscher-
Diener zeichnet sich aus durch „Güte, Demut, Freundlichkeit und Geduld“ (Kol 3,12-
13) plus „Vergebung“. Diese „Früchte des Heiligen Geistes“ (Gal 5,22-26) sind allesamt
Beziehungsförderer und Gemeinschaftsbauer.

Zum anderen geschieht es dadurch, dass sich die Gemeinschaft zusammen auf Jesus
Christus hin orientiert. Die Gemeinschaft wird erbaut durch das Wort Jesu -- durch
das Hören auf ihn. Glaube und Vertrauen auf die Macht des Diener-Herrschers kommt
durch das Hören auf seine Botschaft der Rettung, Vergebung und Liebe (Röm 10,17).

In lutherischer Theologie kommt es vor allem auf das „Wortgeschehen“ an. Gedacht ist
es als eine Art Dreieck.

Dreieck

Dieses Dreieck besteht aus dem Gegenüber von Hörgemeinschaft und Prediger oder
Predigerin und die Spitze des Dreiecks ist Christus. Der Prediger predigt, was er von
Christus gehört hat und die Gemeinde prüft das Gehörte an dem, was sie von Christus
aus der Bibel weiß. In diesem Geschehen wirkt der Heilige Geist, der das Wort lebendig
macht, so dass die Gemeinde vergewissert ist, wer und wie Gott ist und was sie als
nächstes -- seiner Liebe folgend -- zu tun hat (vgl. 1 Kor 2,2). So regiert Christus die
Gemeinde, durch sein Liebe schaffendes und dienendes Wort und nicht durch Macht
oder Manipulation (CA 28: sine vi sed verbo.)!

So wurde das schon prominent von Lukas Cranach dargestellt, der in einer windstillen
Kirche während der Predigt ein „Band“ von Prediger zu Gemeinde „wehen“ (Attribut
des Heiligen Geistes) lässt, das aufs engste mit Christus, dem Gekreuzigten, verbunden
ist.

Hier ist der Link zum beschriebenen Bild.

Diese Überlegungen werfen wieder Fragen für die Raumgestaltung auf: Wie kann der
Ort der Verkündigung (oder die Orte der Verkündigung) so gestaltet werden, dass
Christus in der Mitte ist und als das einende Band der Liebe, Prediger und Gemeinde
verbindet? Welche Position ist der Verkündigung der Botschaft des Diener-Herrschers
angemessen?

Die Verkündigung kann einen Ort haben oder mehrere Orte. Im lutherischen
Verständnis ist Taufe und Abendmahl Verkündigung mit weiteren „Medien“ (Wasser,
Wein, Brot). Die Taufe ist das Sakrament (= Wort/Verheißung + Medium Wasser) des
Anfangs im Christsein und bedeutet das Sterben und Auferstehen mit Christus (Kol
2,12). Das Abendmahl ist das Sakrament des Weges. Hier kommen wir als
Gemeinschaft zusammen und werden zur Gemeinschaft des Herrn. Beides ist für die
Gemeinde konstitutiv, da hier in besonderer Weise das Mitsein Jesu verheißen und
zugesprochen ist.

Damit ist die Frage beantwortet: Wie zieht man Liebe an? In der Gemeinde Jesu
verbindet sich der Herr mit uns, stellt uns zusammen und erschafft so einen Körper,
dessen Haupt er ist. Wo die Liebe uns verbindet, handeln wir in seinem Sinn.

Ebene 3: Die Glieder

So zentral Christus ist: Das Ziel ist eine versöhnte Menschheit -- eine Menschheit die
Gottes Schöpfung in Demut und Liebe „dienend beherrscht“ und die Ordnung und
Frieden bringt. Es geht darum, wieder mit Gott verbunden zu sein und „Anteil an
seiner Herrlichkeit“ (Kol 3,4) zu haben.

Auf den Weg ist die Gemeinde gerufen: Sie soll eine solche neue Menschheit sein. Die
Mittel dafür sind im 3. Kapitel des Kolosserbriefes aufgezählt (Kol 3,16ff) und für diese
braucht es in einem Versammlungsraum „Platz“:

  • Das Wort, in dem Christus gegenwärtig ist, soll reichlich Raum haben.
  • Raum für gegenseitige „Ermunterung“ (Ermahnung),
  • Raum für Lobpreis und Lieder,
  • Raum für gegenseitigen Liebesdienst (Unterordnung),
  • Raum zum Gebet.

Das Anforderungsprofil sieht vor, dass Raum für Gemeinschaft ist, und christliche
Gemeinschaft qualifiziert sich durch die genannten Dinge: Wort Gottes, gemeinsames
Lernen, Beten und Ringen um das Wort Gottes, gegenseitige Ermahnung,
Ermunterung und Trost, Nächstenliebe und Lob Gottes. In der Regel sind das kleine
und große Feste zur Ehre Gottes. Darum ist das Ganze eigentlich keine heimliche
Veranstaltung hinter dicken Mauern, sondern dient dazu, dass Gottes Liebe in der Welt
sichtbar und hörbar wird.

So könnte man mit Zinzendorf sagen: Der eigentliche Schmuck der Kirche, sind die
Menschen, die darinnen sind. Der Raum soll dem dienen, dass Menschen ermutigt,
getröstet und gesandt werden können, so dass die Gemeinde allen Nachbarn zum
Segen wird.